W. Tillmans: Das ist mir schon klar. Aber ich würde gerne wissen, was die Fotografie konkret bei dir…

I. Genzken: Ich glaube, dass Fotografie viel mit Skulptur zu tun hat – weil sie räumlich ist und weil sie Realität abbildet. Ich habe zum Beispiel immer einen viel größeren Bezug zur Fotografie gehabt als zur Malerei. Als ich damals die Werbeanzeigen von HiFi-Anlagen fotografiert habe, dachte ich: Jeder hat jetzt so einen Turm zu Hause. Das ist das Neueste, das Modernste, was es zur Zeit gibt. Also muss eine Skulptur mindestens genauso modern sein und das aushalten. Daraufhin habe ich die Fotografien an die Wand gehängt und ein Ellipsoid auf den Boden gelegt und gedacht: Das Ellipsoid muss mindestens so gut sein wie diese Werbung. Mindestens so gut. So gut muss eine moderne Skulptur sein. Verstehst du? Das war der Dialog…

W. Tillmans: Also eigentlich ist die wirkliche Welt immer dein Bezugspunkt…

I. Genzken: Ja, und ich habe auch immer gesagt, dass man mit jeder Skulptur formulieren können muss: Dies ist zwar kein Ready-made, aber es könnte eines sein. So muss eine Skulptur aussehen. Sie muss einen gewissen Realitätsbezug haben. Also nicht irgendwas Versponnenes oder gar Ausgedachtes, so daneben und höflich.

W. Tillmans: Du stellst also nicht einfach aus purem Willen irgendwelche Formen neben die wirkliche Welt. Das Empire State Building zum Beispiel funktioniert als eine Art benchmark, als Messlatte.

I. Genzken: Genau. Und diesen Aspekt sehe ich bei vielen Künstlern nicht. Da habe ich ganz oft das Gefühl: Die denken sich jetzt aus, was Kunst sein soll. Das will ich gar nicht. Sondern eine Skulptur ist eigentlich wie ein Foto – sie kann zwar verrückt sein, sie muss aber immer noch so einen Aspekt haben, den die Realität auch hat.

W. Tillmans: Das mag ich auch so an dem Medium Fotografie für mich. Dass es eine Ökonomie hat. Dass es unaufdringlich und unprätentiös ist. Man könnte ja auch eine Jeans über einem Türpfosten präparieren und das Ganze komplett in 3D in den Raum stellen. Aber ich finde es eigentlich viel leichter, das zu fotografieren. Als Geste ist es irgendwie weniger pompös. Denn durch das Foto ist irgendeine Form von Universalität oder Zugänglichkeit gegeben.

I. Genzken: Bei manchen meiner Studenten hat mich immer gestört, dass ihre Arbeiten dem Betrachter gegenüber so kalt sind. Ich habe den Studenten immer gesagt: Sie müssen sich auch vorstellen, wie der Betrachter das sieht. Man muss sich auch in den Betrachter hineinversetzen, wenn man was macht. Das finde ich wichtig. Das kann kompliziert sein, aber ich finde das wichtig. Sonst ist es mir zu kalt oder zu arrogant.

W. Tillmans: Im Sinne von: Ich kann etwas machen, was du nicht machen kannst?

I. Genzken: Genau.

W. Tillmans: Insofern ist also das Foto auch für dich ein ökonomisches Mittel, das zu vermitteln, was es schon gibt und was dich interessiert?
 
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Ein Text von Benjamin H. D. Buchloh l Ein Gespräch mit Wolfgang Tillmans
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