In einer zweiten Serie (aus dem Jahr 1980), die in ihrer Konzentration auf das Aurikulare seltsam komplementär zur ersten wirkt, fertigte Genzken großformatige Nahaufnahmen von den Ohren ihrer Freunde an. Diese Ohr-Metonymien, die auf eigenartige Weise sowohl an konstruktivistische Hand- als auch an surrealistische Fuß-Metonymien erinnern und an deren Stelle treten, markierten nicht nur Genzkens Abkehr von der Beschäftigung mit Sinnesorgan-Formen in ihren Skulpturen, sondern stellte auch eine Reaktion auf die zunehmend reaktionäre Wiederbelebung der Porträtfotografie durch Künstler ihrer Generation dar. Genzkens Fotografien verschoben das Genre des Porträts hin zum physiognomischen (und kriminologischen) körperlichen Detail in seiner äußersten Singularität und verwiesen gleichzeitig auf die endlose Differenzierung des Subjektiven und den Determinismus der mythischen Behauptung, das Subjektive lasse sich im fotografischen Porträt festhalten.
In Genzkens jüngsten Arbeiten sieht man sich mit den Grundmiseren der heutigen Bildhauerei konfrontiert: dem Terror der universellen Gleichwertigkeit und Austauschbarkeit aller Objekte und Materialien sowie der gleichzeitigen Unmöglichkeit, eine transgressive Definition von Skulptur mit Selektions- oder wenigstens Beurteilungsprioritäten beziehungsweise -kriterien zu versehen (sei es kunsthandwerkliches Geschick, Objekt- oder Materialwahl oder die zur Bestimmung der spezifischen Struktur eines kontextualisierten Readymades erforderliche analytische Intelligenz). Die Unterordnung des Ichs unter die totalitäre Ordnung der Objekte treibt den Bildhauer zwangsläufig an den Rand der Psychose, und genau diese Haltung scheinen Genzkens neue Arbeiten einzunehmen. Da aber die vollständige Unterwerfung unter den Konsumterror in der Tat die kollektiven Objektbeziehungen beherrscht, könnte jener psychotische Zustand für den Bildhauer der Zukunft durchaus zur einzig artikulierbaren Haltung und Praxis werden.
Erstmals erschienen in: Silvia Eiblmayr (Hrsg.): Isa Genzken. Ausstellungskatalog Galerie im Taxispalais, Innsbruck / Secession, Wien, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2006. Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Galerie im Taxispalais, Innsbruck / Secession, Wien, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln.
 
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Ein Text von Benjamin H. D. Buchloh l Ein Gespräch mit Wolfgang Tillmans
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