Wenn alle Dinge gleich bleiben |
Benjamin H. D. Buchloh |
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Die Positionierung der Bildhauerei zwischen
zwei einander ausschließenden diskursiven Konventionen beziehungsweise
zwischen zwei gleichermaßen unerträglichen Grundbestimmungen
war von jeher ein Motivationsprinzip von Isa Genzkens Skulpturen. Heute
sind die geopolitischen und geschlechtsspezifischen Verbote, die zum Zeitpunkt
von Genzkens ersten, allen Widrigkeiten zum Trotz entstandenen bildhauerischen
Arbeiten die hartnäckigsten Hindernisse bildeten, die sie zu überwinden
hatte, nur noch schwer nachzuvollziehen. In Deutschland wurden Skulpturen
damals schlichtweg nicht von Frauen gemacht (es gab weder eine Hepworth
noch eine Hesse, auf die man sich berufen konnte). Und wenn sich ein Einfluss
der Vorkriegs-Plastik in die Praxis der Nachkriegskunst hinübergerettet
hatte, dann lediglich der von Arp. Schlimmer noch war aber die Verwandlung
des Vorkriegskonstruktivismus in jene von Beuys einmal unnachahmlich als
„Stahl-und-Eisbein-Skulptur“ bezeichnete konstruktivistische
Bildhauerei des Kalten Krieges, welche die neuen Firmen-Bürotürme
in Frankfurt und Düsseldorf schmückte. |
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Dementsprechend begegnete Genzken dem massiven
Ansturm der Minimal Art, indem sie sich (ebenso wie Blinky Palermo, den
sie 1973 an der Kunstakademie Düsseldorf kennen lernte) zwischen
Beuys einerseits und Barnett Newman und Ellsworth Kelly andererseits positionierte.
Es wirkt, als sei allein durch künstlerischen Dialog und ästhetische
Rezeption die Synthese von grundsätzlich inkompatiblen Epistemen
möglich, wie – um ein jüngeres Beispiel zu nennen –
die Verschmelzung von Beuys und Warhol in den aktuellen Arbeiten von Thomas
Hirschhorn gerade wieder verdeutlicht, dessen Idiom der Chaos-Skulptur
Genzken in gewisser Weise vorweggenommen zu haben scheint. |
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Mit ihrem geradezu herkulischen Akt, die
Kluft zu überbrücken, die sich aus der Abwesenheit von Skulptur
in Deutschland gegenüber dem übermäßigen Vorhandensein
amerikanischer Minimal-Art-Plastiken ergab, trat Genzken als eine der
bedeutendsten Künstlerinnen hervor, die auf die berühmte Generation
Palermo, Polke und Richter folgten. Zweifellos war ihr Bedürfnis
nach Anerkennung durch jene Generation für die beträchtlichen
Ausmaße ihrer bildhauerischen Projekte mitverantwortlich. Dabei
lag eines ihrer Hauptziele in einer programmatisch antimaskulinen skulpturalen
Ausdrucksweise. Die ungewöhnliche Verschmelzung stereometrischer
und biomorpher Formen war das Resultat von Genzkens 1975 getroffenem radikalen
Entschluss, die extrem spitzen Kurven zunächst ihrer Ellipsoiden
(1976–82) und später ihrer Hyperbolos (1979–83)
mit Hilfe des Computers zu entwerfen. Diese mathematisch genauen Krümmungskörper
schienen plötzlich die naturwissenschaftlich-technischen Kästen
der Minimal Art auf ihre männlichen Quadratschädel zu stellen.
Erwähnenswerterweise entwickelte Genzken diese am Computer errechneten
komplexen Ellipsoiden und mathematisch-polymorphen Stereometriemodelle
etwa zwanzig Jahre bevor Richard Serra das Instrumentarium von Frank Gehry
entdeckte. Leider haben diese hölzernen Schiffsrümpfe nur selten
den Atlantik überquert (wobei die Genzken-Retrospektive in der Renaissance
Society Gallery der University of Chicago im Jahr 1992 in jeder Hinsicht
außergewöhnlich bleibt). |
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